Dancing with the Enemy? Social and Cultural Relations in Cities Occupied by French Troops (1792-1815)

Dancing with the Enemy? Social and Cultural Relations in Cities Occupied by French Troops (1792-1815)

Organisatoren
Andreas Würgler, Universität Bern; European Association for Urban History EAUH, Lyon
Ort
Lyon
Land
France
Vom - Bis
27.08.2008 - 30.08.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Würgler, Historisches Institut, Universität Bern

Die metaphorische Frage „Dancing with the Enemy?“ diente als Schlüssel für die Analyse der sozialen und kulturellen Beziehungen und Begegnungen zwischen Stadtbevölkerungen und Okkupationsarmeen in der Zeit der französischen Revolutions- und der napoleonischen Expansionskriege 1792-1815. Denn mit jemandem Tanzen bedeutet, zumindest in der Welt der traditionellen Standardtänze, ihm oder ihr ziemlich nahe zu kommen und die gemeinsamen Bewegungen zu harmonisieren, jedenfalls für eine kurze Zeit. Ob dem ersten Tanz weitere folgen oder nicht, ob sich die kurze Harmonie zeitlich erstrecken lässt oder nicht, das hängt unter anderem davon ab, ob sich die Tanzpartner vorher kannten oder nicht und nicht zuletzt auch davon, wie gut oder schlecht der gemeinsame Tanz gelang.

Sechs Beiträge aus Italien, Portugal, Frankreich, Dänemark, Ungarn und der Schweiz – ein Beitrag aus Deutschland musste leider ausfallen2 – thematisierten die Beziehungen zwischen Besatzungsarmeen und städtischen Bevölkerungen im Rahmen der Spezialsektion S04 des 9. internationalen Kongresses der European Association for Urban History EAUH1, der in den Räumen der Ecole Normale Supérieure – Lettres et Sciences Humaines (ENS-LSH) stattfand. Die in den Tagungssprachen Französisch und Englisch gehaltenen Vorträge umkreisten das Thema aus verschiedenen inhaltlichen und methodischen Perspektiven.

Die Bürger in Trient, der Hauptstadt des zum Deutschen Reich gehörigen Fürstbistums Trient im heutigen Norditalien, widerstanden der revolutionären Propaganda und standen ausgesprochen treu zu Habsburg, wie CECILIA NUBOLA (Trient) darlegte. Dabei spielte die geistliche Warnung vor dem revolutionären Atheismus keine geringe Rolle. Trotz dieser Zurückhaltung gegenüber den revolutionären Ideen, die sich auch im gänzlichen Fehlen der typischen Revolutionssymbolik (Kokarden, Freiheitsbäume) manifestierte, äußerten sich die Zeitgenossen positiv über das ruhige, nüchterne und diskrete Verhalten der französischen Truppen – jedenfalls nach der ersten der drei Besatzungen 1796, 1797 und 1801-1802. Während die Kontakte der einfachen Bevölkerung mit der Truppe offensichtlich auf das Notwendige beschränkt wurden, trafen sich die Offiziere und die städtischen Eliten beim festlichen Ball.

Nicht bloß in Form von Durchmärschen und Einquartierung, sondern als kriegerische Eroberung erlebte im März 1809 die Stadt Porto im Norden Portugals die Ankunft der französischen Armee, die Portugals Häfen für den englischen Handel schließen sollte, um die Kontinentalsperre durchzusetzen. Von offiziellen Tanzanlässen ist nichts bekannt, denn die Stadt wurde drei Tage lang zur Plünderung freigegeben. Nur wenige wurden verschont und dies, so JORGE MANUEL MARTINS RIBEIRO (Porto), zu einem hohen Preis. Eine etwa vierzigjährige alleinstehende Frau zum Beispiel sah sich nach dem Abzug der Franzosen von Nachbarn dem Vorwurf der Kollaboration und des Umgangs mit französischen Offizieren ausgesetzt, ein Vorwurf, der sich bei der Hausdurchsuchung zu bestätigen schien: denn trotz der massiven Plünderungen in der Stadt fehlten ausgerechnet in ihrer Wohnung weder Bargeld, Schmuck noch Tafelsilber, weder prächtige Kleider noch teure Möbel.

Die französischen Armeen brachten jedoch nicht nur Verheerung, sie brachten auch Kultur. RAHUL MARKOVITS (Paris) widmete sich dem „kulturellen Imperialismus“ anhand des Vergleichs der französischen Theaterpolitik in Mainz und Turin. Ziel dieser Politik, die sich ziemlich nahtlos in die Zusammenarbeit von Armee und Theater seit Ludwig XIV. einreihte, war es nicht nur, die eigenen Truppen bei Laune zu halten, sondern auch die eroberte Bevölkerung an die französische Sprache und die französischen Sitten zu gewöhnen. Die französischen Theatertruppen in Mainz erhielten die besten Räumlichkeiten und, wenn auch bescheidene, Subventionen, um ein vorwiegend klassisches Repertoire vor allem für die Soldaten der französischen Garnison zu spielen. In Turin dagegen, wo die Eroberer eine reichhaltige italienische Theaterlandschaft vorfanden, gastierte ein französisches Ensemble lediglich für drei Monate im Jahr. Die Turiner scheinen diese kräftig subventionierten Gastspiele nicht wirklich zur Kenntnis genommen zu haben – soweit sich dies anhand der schwierigen Quellenlage sagen lässt. In Mainz dagegen wehrten sich die einheimischen Theaterfreunde mit Petitionen gegen die Benachteiligung der deutschen Theatergruppen. Als die Besatzer das Scheitern beider Strategien einsahen, änderten sie ihre Politik. Da es in Mainz zu einer Art Schulterschluss der Theaterfreunde über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg kam – die deutschen ehemaligen Petitionäre fanden sich zusammen mit Funktionären der Besatzungsarmee im neu gegründeten Theaterverein – schwenkten sie vom Prinzip der Assimilation auf die Praxis der Amalgamierung um. In Turin jedoch gelang man zur Erkenntnis, das verdorbene italienische Theater nicht durch das gute französische ersetzen zu können. Daher sollte, so die neue Politik, das italienische Theater nach französischem Vorbild reorganisiert werden, um damit auf institutionellem Weg das degenerierte Theater und damit die Italiener zu kurieren.

Solange keine Truppen nach Kopenhagen kamen, konnte die dänische Elite die Französische Revolution aus der Distanz als reales Fortsetzungsdrama, so ULRIK LANGEN (Odense), verfolgen. Als die in der dänischen Hauptstadt aktiven französischen Kommissäre anlässlich der Entsetzung der südfranzösischen Hafenstadt Toulon von der englischen Belagerung durch Napoleon mit einem Ball feiern wollten, bestellten die Kopenhagener Damen beim Schneider festliche Kostüme in den Farben der Trikolore und übten schon die Tanzschritte beim französischen Tanzmeister, der am königlichen Hof angestellt war. Doch die englische Kolonie und insbesondere der englische Gesandte – und mit ihm der russische und preußische – fühlten sich von dieser Propagandaaktion provoziert. Denn sie fanden es nicht nur unpassend, dass der nicht einmal offiziell akkreditierte französische Gesandte teilnehmen wollte, sondern auch, dass der Ball im englischen Club Hotel stattfinden sollte. Die städtische Elite fühlte sich von diesen internationalen Verwicklungen des gesellschaftlichen Events verunsichert und begann, ihre Anmeldungen zu stornieren. Als schließlich Gerüchte kursierten, wonach der Ball als Startschuss für revolutionäre Aufstände dienen sollte, musste die Polizei ihn verbieten. Wie diese Episode zeigt, vermochten die Ereignisse in Frankreich die Köpfe der Kopenhagener Gesellschaft zu besetzen, auch ohne dass die Armee der Franzosen die Stadt erobert hätte.

Gleich dreimal Truppeneinmärsche erlebte dagegen die Stadt Lemberg in Galizien (heute Lviv in der Ukraine) im Jahr 1809. Zuerst und nur für rund einen Monat waren es „napoleonische“ Truppen, die aus dem Großherzogtum Warschau kamen und vor allem aus Polen bestanden. Sie wurden von der überwiegend (50-55 Prozent) polnischen Bevölkerung der Stadt, die erst 1772 durch die erste polnische Teilung 1772 von Polen an die österreichischen Habsburger gelangt war, mit viel zeremoniellem Pomp und anschließenden Freudentänzen in den Strassen empfangen. Doch schon bald rückten russische Truppen in die Stadt ein. Diesmal wurde nicht gefeiert. Eine russische Wohnbevölkerung gab es nicht, und das polnische Lemberg interpretierte die Ankunft der Russen als Ende des Traumes vom polnischen Nationalstaat. Als gegen Ende des Jahres österreichische Regimenter einmarschierten, wurden diese mit demselben Pomp begrüßt, wie vormals die polnischen-napoleonischen. Diesmal freuten sich aber vor allem die deutschsprachigen Verwaltungseliten, die unter der habsburgischen Herrschaft das Sagen hatten. Die über 30 Prozent Juden und die 15-20 Prozent Ruthenen (Ukrainer) in der Stadt verhielten sich dagegen bei allen Besetzungen zurückhaltend. Während die (frühe) polnische Nationalgeschichtsschreibung die Spontaneität und breite Beteiligung der Bevölkerung an den Feiern zum polnisch-napoleonischen Einmarsch und die erzwungene Künstlichkeit der Zeremonien bei der Ankunft der Österreicher hervorhob, betonte MARKIAN PROKOPOVYCH (Budapest / Lemberg), dass solche pompösen Zeremonien seit Jahrhunderten üblich waren beim Einzug des Königs, des Kaisers oder einer Besatzungsarmee. Darin manifestierte sich weniger die freudige Unterwerfung unter die Eroberer, als die stolze Tradition der städtischen Selbstdarstellung.

Auch der Einmarsch der von einigen wenigen Schweizer Jakobinern zur Stützung der disparaten revolutionären Bewegungen gerufenen französischen Truppen in die eidgenössische Stadt Bern im März 1798 wurde, wie ANDREAS WÜRGLER (Bern) ausführte, sehr verschieden gedeutet. Während die (patriotische) Historiographie die erstmalige Besetzung der Stadt und den damit verbundenen Untergang der Stadtrepublik als „Katastrophe“ beklagte, fühlten sich patrizische Kreise durch die französischen Regimenter vor den aufrührerischen Schweizer Bauern, die schon mehrere Offiziere massakriert hatten, beschützt. Aufgrund solcher sozialer Solidaritäten erstaunt es kaum, dass die Offiziere der Besatzungstruppen von der Elite der Stadtbevölkerung zur Tafel und zum Tanz geladen wurden, während für die französischen Soldaten und die einheimischen Diener der Katzentisch und das Aufräumen übrig blieben. Die Reaktionen auf die französische Expansion nur durch die nationale Brille zu sehen führt nicht sehr weit. Denn süddeutsche katholische Kleriker etwa fürchteten nicht die katholischen Franzosen als solche, wohl aber die Atheisten, Juden und Calvinisten unter ihnen.3 Auch präsentierte sich gerade die „Französische Armee“ vielerorts als „multinationale Truppe“, zusammengesetzt aus Freiwilligen und Konskribierten, aus Franzosen, Deutschen, Schweizern, Italienern, Polen usw. Die Erfahrungen mit einquartierten Soldaten waren aber letztlich sehr verschieden und von spezifischen Faktoren abhängig.4

Die asymmetrischen Beziehungen zwischen Besatzern und Zivilisten lassen sich, das zeigten alle Beiträge auf ihre Weise, nicht mit nationalen Freund-Feind-Kriterien allein erfassen. Offensichtlich spielten Alter und Geschlecht, Sprache und Konfession, soziale Zugehörigkeit und politische Orientierung sowie kulturelle Präferenzen und die konkreten Umstände einer Besatzungssituation eine mindestens ebenso wichtige Rolle.

Die Veröffentlichung der Beiträge ist vorgesehen.

Konferenzübersicht:

Cecilia NUBOLA, Trento (It)
L’armée française à Trente (1796-1809). Chroniques, mémoires, autobiographies
Jorge Manuel Martins RIBEIRO, Porto (P)
„Les nuits avec mon ennemi“. L’hébergement des troupes et l’occupation Française de la ville de Porto de mars à mai 1809
Rahul MARKOVITS, Paris (F)
„S'approprier les mœurs, les habitudes, et la langue françaises“: le théâtre et l’impérialisme culturel français à Mayence et Turin (1798-1814)
Ulrik LANGEN, Odense (DK)
The Toulon Ball in the neutral City of Copenhagen 1794. The Story of a Cancellation
Markian PROKOPOVYCH, Budapest / Lemberg (H / UA)
Spectacles of 1809: Napoleonic, Russian and Austrian Celebrations in Lemberg
Andreas WÜRGLER, Bern (CH)
Who is Afraid of Whom? Cultural, Social and National Patterns in Relations between Citizens and Invaders (1792-1815)

Anmerkungen:
1 Vgl. für das gesamte Programm der über 56 Sektionen die Website der Konferenz: http://eauh.ish-lyon.cnrs.fr/ (2.9.2008).
2 Planert, Ute, Friend or Foe? Civilians, War Experience, and the Military in Southern Germany.
3 Vgl. Planert, Ute, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden: Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792-1841 (Krieg in der Geschichte, 33), Paderborn 2007.
4 Vgl. dazu das vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung SNF unterstützte Projekt von A. Würgler „Bitten im Wandel. Umbrucherfahrung und Interessenartikulation in der städtischen Gesellschaft Berns um 1800“ http://www.hist.unibe.ch/content/forschungsprojekte/bitten_im_wandel/index_ger.html.


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